Kein Wort steht besser für den Konflikt zwischen zentraler Macht und dezentraler Autonomie. Wer viel zu entscheiden hat, ist wichtig. Auf wessen Entscheidung andere warten müssen, ist wichtiger. Wessen Entscheidungen mehr Menschen beeinträchtigen, ist mächtiger. Indem wir Management als Funktion denn als Rolle begreifen, entlarven wir die Leere dieser Sätze.
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Nadelöhr

Das Unternehmen möchte seine Investitionen besser steuern. Es baut sich dazu einen mehrstufigen Prozess. Nach bestimmten Meilensteinen müssen Initiativen zeigen, dass sie weiterhin auf gutem Kurs sind. Ist der Vorstand überzeugt, wird Budget für die nächste Phase freigegeben.
Es gibt 30 solcher Initiativen. Von der ersten Idee bis zur Produktreife stehen fünf Phasen an, es sind also 150 Entscheidungen zu fällen. Das Gremium kommt alle vier Wochen zusammen, de facto zehn Mal im Jahr und kann im Schnitt fünf Entscheidungen treffen. 150 Entscheidungen stehen einer Kapazität für 50 Entscheidungen gegenüber. Entkoppelt von der möglichen Umsetzungsgeschwindigkeit benötigt das Unternehmen also drei Jahre zur Entscheidung.
Wie sähe es aus, wenn der Vorstand sich auf 5 Initiativen beschränkt und die restlichen 25 den vier Unternehmensbereichen überlässt? Auf oberster Ebene stehen 25 Entscheidungen einer Kapazität für 50 gegenüber. Teilten sich die 25 Initiativen gleichmäßig auf, stünden auf Bereichsebene 30-35 Entscheidungen einer Kapazität für 50 gegenüber. Nun können die schnelleren Initiativen schneller behandelt werden, zumal die Bereiche Entscheidungen autonom anders regeln könnten.
Greifbarer Ausdruck dessen ist … Warten. Warten auf Frau oder Herr Müller, ohne deren Anwesenheit das Meeting nicht beginnen kann, weil nur sie die richtige Hierarchiestufe haben, um Entscheidungen treffen zu können.
Risiken
Dabei bezeichnen wir häufig simple Auswahlen als Entscheidungen. Option A oder B? Die Vor- und Nachteile liegen auf der Hand, wir sind uns einig über den Maßstab und die Bewertung. Das ist eine Auswahl. Eine Entscheidung hingegen ist nötig,
»[w]enn […] gleichwertige Argumente für oder gegen ein Handeln sprechen.« Wenn es gute Gründe für A gibt, und ebenso gute Gründe für B.
Entscheidungen sind genau dann nötig, wenn sie unmöglich sind – unmöglich im Sinne von »schlüssig zu begründen«. Sie könnten auch eine Münze werfen oder einen Strohhalm ziehen. Es ist gerade das Fehlen der Begründung, die uns zur Entscheidung drängt.1
Eine Entscheidung trägt also ein Risiko in sich. Ohne zumindest einen Teil des Weges zu gehen, können wir nicht wissen, was uns auf dem Weg erwartet. Die Idee des MVP, des »minimal viable product«, und auch die Idee der Agilität setzen hier an. Beide versprechen, Risiken durch möglichst kurze Hypothese-Experiment-Zyklus zu reduzieren.
Your prioritized list of hypotheses has given you several paths to explore. To do this exploration, you are going to want to create the smallest thing you can to determine the validity of each of these hypothesis statements. That is your MVP. You will use your MVP to run experiments. The outcome of the experiments will tell you whether your hypothesis was correct and thus whether the direction you are exploring should be pursued, refined or abandoned.2
Wenn überhaupt, dann sollten Führungskräfte dafür sorgen, ausschließlich echte Entscheidungen treffen zu müssen. Auswahlen jedoch verstopfen das Nadelöhr, auch wenn sie vielleicht dem Ego schmeicheln.
Entscheiden lassen
Arbeiten Sie als Führungskraft an einer Management-Infrastruktur, in der andere wirksam werden können?
Management und seine Facetten sind keine Rollen, sondern Aufgaben, und Ihre erste Pflicht besteht darin, sie umzuverteilen. Verschieben Sie den Ort der Entscheidung an die Stelle, an der sie maximal wirksam sein kann.3
Ihre Infrastruktur sollte es Ihnen ermöglichen, möglichst viele Auswahlen und Entscheidungen nicht selbst treffen zu müssen.
Welche Entscheidungen übrig bleiben
Neben der Unterscheidung zwischen operativer und strategischer Arbeit sind es Entscheidungen mit hohem Risiko, die reine Management-Rollen in Organisationen rechtfertigen. Die Verantwortung einer Geschäftsführung oder die eines Vorstands ist gesetzlich geregelt und kann nicht umgangen werden. So wird es also immer Entscheidungen geben, die sich die Menschen in diesen Rollen vorbehalten, alleine oder zumindest letztlich entscheiden zu wollen. Je nach Größe der Organisation sickert dieser Gedanke die Hierarchie nach unten.
Wo Ihr Unternehmen die Grenze zieht, ist von vielen Faktoren abhängig. Als Prinzip kann gelten: Je konkreter die Auswirkungen einer Entscheidung morgen im Betrieb spürbar sind, desto eher sollten Sie diese Entscheidung nicht selbst treffen müssen.
Nimmt man den Gedanken Ernst, Entscheidungen als Funktion von Management zusehen, die dort erfüllt werden soll, wo sie maximal wirksam werden kann, bleiben erstaunlich wenig Entscheidungen übrig, die zentral von oben zu treffen sind. Den gewonnenen Freiraum in Kalender und Kopf können Sie zum Beispiel nutzen, um weiter in Ihrer Management-Infrastruktur zu arbeiten.